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Sonntag, 12. August 1990 Paolo Bianchi über Karl BallmerKUNSTFORUM (Bd. 109, August–Oktober 1990)
Paolo Bianchi (Baden, Schweiz) schrieb für das KUNSTFORUM (Bd. 109, August - Oktober 1990, S. 405f.) folgenden Beitrag anlässlich der Ballmer-Retrospektive im Aargauer Kunsthaus vom 27.5. bis 12.8.1990. Abgebildet waren dazu die Halbfigur (Bildband 1990, S. 97) und die Nordische Landschaft (S. 107). Als Karl Ballmer 1938, aus Nazi-Deutschland (Hamburg) kommend, in die Schweiz einreist, ist die Rückkehr eher Emigration denn Heimkehr (Ballmer selbst spricht von „Rückwanderung“). Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Katharina van Cleef baut er sich 1941 in Lamone im Tessin ein „Häuschen mit Atelier“, wo er bis zum Tode (Leberkrebs) im Jahre 1958 leben wird. Während dieser Zeit in der Schweiz publiziert er viel und verwickelt sich in Tagesfehden mit Pfarrern, Politikern, Biologen, Philosophen und Journalisten. Als Maler ist er, so vor Jahren der verstorbene Aarauer Museumsmann Heiny Widmer, „ein Schweizer in der Schweiz unter Schweizern“. Mit anderen Worten: Er wird nicht beachtet. Die Folgen: Ballmer, „einer der großen Ahnen der Moderne“ (Widmer), und sein Werk wurden von der Schweizer Kunstgeschichte bis heute mehrheitlich verdrängt und vergessen. „Ballmers Spätwerk“, so ein Interpret, „ist denn auch von einer volltönenden Trauer umgeben“. Seine im Tessin gemalten Bilder beschwören denn auch eine gequälte Körperlichkeit, an der sich der lebenslange Kampf nach Anerkennung wie auch Lebensabschnitte innerer Vereinsamung und Augenblicke abgründiger Verzweiflung spiegeln. Wie war es möglich, daß der hervorragende Maler Ballmer, der alternierend auch Journalist, Privatgelehrter und Philosoph war, statt Künstlerkarriere zu machen, eine tragische Künstlerexistenz als einsamer Outsider fristen mußte? Karl Ballmers Biographie weist einige Fixpunkte auf, die zum Verständnis seines Werkes von Bedeutung sind: Geboren 1891 in Aarau, verläßt er 1907 als 16jähriger nach einem Schüler-Lehrer-Eklat die Schule, um an der Kunstgewerbeschule Basel, später dann an der Kunstakademie München zu studieren. Im Alter von 20 Jahren, 1911, ruft die militärische Aushebung (die Rekrutenschule bricht er dann aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig ab). In einem späteren Brief an eine Jugendfreundin erinnert er sich an die verzweifelten 10er Jahre: „Von 1914 bis 1918 war meine Existenz die schwerste andauernde Selbstvernichtung, mit tödlichen Eingriffen und Attentaten auf die physisch-leibliche Existenz.“ Die Zeit während des Ersten Weltkrieges ist vom Aktivdienst und von grafischer und journalistischer Arbeit geprägt. 1918 lernt er Rudolf Steiner kennen. Er läßt sich in den Wissensfundus der Anthroposophie einweihen und hält am Goetheanum in Dornach Vorträge über Kunst. Nach philosophischen Studien in München, Stuttgart und Berlin lassen sich Ballmer und van Cleef 1922 in Hamburg nieder. Ballmer verbreitet Steiners Lehre, indem er die „Rudolf-Steiner-Blätter“ herausgibt, die ihn finanziell und kräftemäßig an den Rand des Ruins treiben; er zeichnet und malt. In Hamburg nimmt er teil am Kunstleben und an den Ausstellungen der „Hamburger Sezession“. Seine Werke hängen 1929 als erster Höhepunkt in seiner künstlerischen Laufbahn an der Kunstausstellung Altona neben denjenigen von Kandinsky (den er übrigens nicht mochte). Ballmers Bilder werden zu relativ hohen Preisen - ungefähr wie Kandinsky, Klee und Schwitters - gehandelt. Die Genannten werden weltbekannt, Ballmer hingegen geht vergessen. Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 kehrt Ballmer mit seiner Frau Käthe, die Jüdin ist, Hals über Kopf in die Schweiz zurück. In der Zwischenzeit zum Hamburger geworden, ist er in der Schweizer Kunstszene ein völlig Unbekannter. Statt der Integration erwartet den heimatlosen und heimatvertriebenen Maler die Isolation. Ballmer-Biograph Christoph Widmer notiert: „Da beide Ballmers miteinander stets Hochdeutsch sprachen – Käthe hatte nie Schweizer Dialekt gelernt – wurden sie in der Öffentlichkeit öfters als ‘Sauschwobe’ angepöbelt.“ Ballmer ist in den letzten Lebensjahren, trotz gesundheitlicher Störungen (z.B. Schlaflosigkeit; ähnlich wie bei Vincent van Gogh also), geistig und künstlerisch unermüdlich aktiv. Nicht nur Ballmers Erfolglosigkeit, das Element des Außenseiters, ja des Ausgestoßenen der Gesellschaft erinnern an van Gogh. Ballmers Kunst, die immer das Thema der Figur, der Gestalt umkreiste, lebte von dem Wunsch und der Sehnsucht nach einer neuen Malerei. „Er sieht als neuer Maler den neuen Menschen und erinnert bei dieser Suche an van Gogh“ (Heiny Widmer). Über von Gogh hatte Ballmer in seinen Kunstvorträgen gesagt: Er „zerschellte an ihr (an der Suche nach dem neuen Menschen; Anm. des Verf.), die Gestalt zerbarst von innen heraus“. Wenn Ballmers Schaffen, grob gesprochen, zwischen der intensiven und delikaten Farbigkeit, der abwechselnd dichten und pastosen bzw. hellen und lichten Malweise der glücklichen Hamburger Zeit einerseits und der tonig-fahrigen, düster-depressiven Malerei des Spätwerks andererseits oszilliert und er als vorrangig thematisierte Motive die Landschaft und die Gestalt auf die Leinwand bannt, so fasziniert am meisten die intensive Auseinandersetzung mit dem Figurenbild und mit der Darstellung des menschlichen Kopfes. „Ballmers Bildnisse“, notierte 1932 ein Hamburger Kritiker treffend, „befassen sich nicht mit der Physiognomie der Dargestellten, sondern sind Formeln für ihre Individualität.“ Und über Ballmers Kunst: Sie „ist ein echtes Kind dieses Zeitalters der Tiefenpsychologie und Mikroskopie. Sie dringt bis zur Schwelle des Unbewußten und bis zur Grenze der Gestalt vor. Sie bemüht sich, das Protoplasma der Kunst zu entdecken.“ Das Forschen nach der Urzelle also, nach Erkenntnis, führte dazu, daß, so Heiny Widmer, „Hülle um Hülle von der sichtbaren Gestalt fiel und daß immer reiner eine Urgestalt hervortrat“. Beim „Kopf in Rot“ (um 1930), der wichtigsten Fassung von Ballmers Selbstbildnis, liegt die Interpretation nahe, daß, wie der heutige Aarauer Konservator Beat Wismer schreibt, „Ballmer sich als intuitiv Wissenden im Sinne Spinozas darstellt, als Erkennenden, der durch seine Erkenntnis am universalen Geist teilhat“. Ballmers Bemühen, das Sichtbare zu überwinden und hinter diesem Sichtbaren das „Metaphysische“ zu entdecken, erinnert an den französischen Philosophen Henri Bergson, den Ballmer (ein Bild trägt den Titel „'Durée an Henri Bergson“) geschätzt haben muß. Beat Wismer, dem das Verdienst zukommt, einen großen Unbekannten in einem umfassenden, monografischen Katalog-Buch greifbar gemacht zu haben, identifiziert Ballmer mit einer seiner Kunstfiguren. Wismer spricht als werkerklärendes Element vom Harlekin und Hanswurst aus der Commedia del ‘arte. Eine genauere Betrachtung geht jedoch über den bloßen Hampelmann und Anführer von allerlei Mummenschanz hinaus. Vielmehr nimmt der Künstler in einer tieferen Schicht gleichnishaft die archetypische Gestalt des Narren an, der als intuitiver Geist eine unerhörte Wahrheitssuche vorantreibt. Als Katalog-Buch zur Retrospektive ist der Band "Karl Ballmer – der Maler“ im Verlag Lars Müller Baden erschienen (SFR 54). Es handelt sich dabei aber auch um eine eigenständige Monografie über Leben und Werk des Aarauer Künstlers. Sie enthält neben einem umfangreichen Text von Beat Wismer einen detaillierten Lebenslauf, verfaßt von Christoph Widmer. |