Hauptmenu |
Freitag, 1. November 1991 Roman Kurzmeyer über Karl Ballmeraus Anlass der Ausstellung
[Aus: Visionäre Schweiz. Herausgegeben von Harald Szeemann. Verlag Sauerländer (Aarau, Frankfurt a.M., Salzburg) 1991, aus Anlass der Ausstellung „Visionäre Schweiz“ (Kunsthaus Zürich, 1. November 1991 bis 26. Januar 1992; Museo Nacional Reina Sofia, Madrid, 11. März bis 11. Mai 1992; Städtische Kunsthalle und Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 26. Juni bis 30. August 1992). Autor des Textes: Roman Kurzmeyer. Ballmer war in dieser Ausstellung offenbar mit seinem „Kopf in Rot“ (Bildband 1990, S. 95) vertreten.] Karl BallmerAarau 1891 - 1958 LamoneKarl Ballmer wird 1891 in Aarau geboren. Nach seiner Ausbildung zum Bauzeichner besucht er 1908 die Malschule am Aarauer Gewerbemuseum, 1909 die Basler Kunstgewerbeschule und von 1910 bis 1911 die Kunstakademie in München. Die Jahre nach seiner Rückkehr bis zur Begegnung mit Rudolf Steiner im Jahre 1918 sind geprägt von Aktivdienst und scheiternden Versuchen als Grafiker, später als Journalist Auskommen und Befriedigung zu finden. Zwischen 1919 und 1920 lebt Ballmer mit seiner Lebensgefährtin Katharina van Cleef in Dornach. Im ersten Hochschulkurs des Goetheanums hält er drei Vorträge über Kunst. Zeitlebens wird Ballmer sich fortan bildnerisch und schriftstellerisch mit der Anthroposophie beschäftigen. In Hamburg, wo er und van Cleef bis 1938 leben, zählt er zu den aktiven Mitgliedern des „Pythagoras-Zweig“. Er beteiligt sich am Aufbau einer anthroposophischen Studienbibliothek, zeichnet 1927 als Herausgeber des „Ahrimans-Spiegel“ und publiziert ab 1928 vier Nummern seiner „Rudolf-Steiner-Blätter“. Das Echo auf diese Schriften ist gering. Die verlegerischen Anstrengungen führen den Künstler an den Rand des finanziellen Ruins. Künstlerisch arbeitet Ballmer in jenen Jahren kaum. Immerhin entstehen einige Pastelle stelenhafter, äusserst reduzierter und transparenter Figuren. Bar aller realistischer Merkmale, erscheinen diese Kreaturen ausserhalb von Raum und Zeit. Sie evozieren Vorstellungen gleichzeitiger Nähe und Ferne, da häufig offen bleibt, ob die Augen als blind oder sehend aufzufassen sind. „Ich lernte im Verlaufe der Jahre den künstlerischen Produktionsprozess etwas anders auffassen. Vom Maler müsste ich heute sagen, dass er die Welt darstellt in dem Stadium, wo sie noch nicht Gedanke, noch nicht Vorstellung geworden ist. Also z.B. wenn der Maler ein Porträt malt, wird er just das malen, was der Photographenapparat oder was der bloss optische Augenvorgang (als Lieferant von Vorstellungen) nicht geben kann. - Ausserdem: so wie ich nicht schreiben möchte, was sich nicht vor dem schärfsten kritischen Intellekt rechtfertigen lässt, so möchte ich auch nichts malen, was nicht dem geschulten ästhetischen Geschmack als unmittelbar schön erscheint. ‘Schön’ kann eine künstlerische Darstellung sein, ob sie nun aus der Eiszeit oder von Negern oder aber von modernen Kulturmenschen stammt. Als unmittelbar schön in ganz direktem Sinne gilt mir z. B. im Aarauer Museum die Böcklinsche Muse des Anakreon“ (Brief an Hedwig Kleiner vom 16. März 1927). Bestimmen philosophische Studien und publizistische Aktivitäten die zwanziger Jahre, so konzentriert sich Ballmer in den dreissiger Jahren auf die Malerei. Sowohl die nun entstehenden Landschaften, als auch seine weitere Auseinandersetzung mit der Figur bestätigen bildnerisch die Absichten der zwanziger Jahre. Anstelle der chthonischen, durchsichtigen, zarten Gestalten, die kaum vom Bildgrund abgesetzt erscheinen, treten nun menschliche Figuren, an denen diese Durchlässigkeit gegenüber dem Bildraum als geistige Aufnahmefähigkeit des Menschen ausgewiesen ist. Es entstehen stilisierte, langgezogene Köpfe, als bedeutendstes Werk das Selbstbildnis „Kopf in Rot“ (um 1930/31), in dem sich Ballmer als Erkennender und Wissender darstellt. Neben weiteren Selbstbildnissen und Doppelbildnissen mit Katharina van Cleef malt er um diese Zeit Bildnisse seiner Freunde, Lehrer und Förderer. Es finden sich darunter Porträts von Rudolf Steiner und Max Sauerlandt. „Ein tiefer Glaube an die Metamorphosenlehre Goethes, die überhaupt in seinem und im Denken Steiners eine zentrale Rolle spielte, steuerte gleichsam seine Suche nach dem neuen Menschen. Ballmer glaubte, dass das redliche Forschen nach Erkenntnis dazu führen müsse, dass Hülle um Hülle von der sichtbaren Gestalt falle und dass immer reiner eine Urgestalt hervortrete, die wesentlicher und reiner sei als die im Schleier der Täuschungen verhüllte Figur“ (Heiny Widmer). Inhaltlich basieren diese Bilder auf Vorstellungen, die der Künstler schon zehn Jahre zuvor, in einem seiner am Goetheanum in Dornach gehaltenen Vorträge formuliert: „Der Maler soll nicht Wissenschaftler werden, er soll noch einen Schritt weiter gehen, er soll in seiner Gesinnung damit Ernst machen, dass Wissenschaft und Kunst aus einem und demselben Ursprung hervorgehen, nicht die Wissenschaft und nicht die Kunst drängt es den Künstler zu suchen, sondern die Offenbarung des Ideellen. Ich bemühte ich, scharf zu betonen, wie der neue Maler nicht hoffen darf, zur Kunstproduktion zu kommen, wenn er nicht den Mut aufbringt, die Welt erst in sein Denken hineinsterben zu lassen. (…) Was wir gegenüber dem Kopf wahrnehmen, das ist ein total anderes als was wir gegenüber dem übrigen Körper wahrnehmend erleben: in den Kopf hinein da strömen gewissermassen aus der ganzen Welt wie auf einen Punkt hin die Kräfte zusammen. Dieses Erlebnis lässt sich nicht mit Worten ausdrücken. Man kann nur in Vergleichen, die sich in der Sprache ausdrücken lassen, darauf hinweisen: Ein Hereinnehmen des Inhaltes der ganzen Welt durch die Sinnesorgane des Auges, des Ohres vollzieht sich in den Kopf hinein. Indem ich in ein menschliches Auge hineinblicke, empfinde ich eine Welt mir entgegentreten.“ 1932 wird Ballmer Mitglied der Hamburgischen Sezession, die er schon im folgenden Jahr wieder verlässt, weil er sich nicht in die gesellschaftlichen und politischen Debatten einbinden lassen will. Als Maler behauptet Ballmer die Autonomie seines malerischen Schaffens, als Publizist vertritt er jedoch zeitlebens leidenschaftlich und furchtlos seinen Standpunkt zu gesellschaftlichen und weltanschaulichen Fragen. Scharf kritisiert er beispielsweise 1939 in seiner Schrift „Aber Herr Heidegger!“ die Antrittsrede Martin Heideggers als Rektor der Universität Freiburg i.B.: „Die erklärten offenen Feinde des Christentums von Ludendorff bis zu den Bolschewisten sind eine Gottesgabe, gemessen an der getarnten Feindschaft gegen den Geist und damit gegen das Christus-Prinzip, wie sie die Substanz der ‘Philosophie’ Heideggers bildet.“ 1936 wird Ballmer von den Nationalsozialisten mit Berufsverbot belegt. Mit seiner jüdischen Frau kehrt er 1939 in die Schweiz zurück. 1940 siedeln sie sich im Tessin an, zuerst in Melide, ab 1941 in Lamone. Der in Hamburg erfolgreiche Künstler findet in der Schweiz kaum Resonanz: „Im unglückseligen Helvetien ist es nicht möglich, über ‘moderne’ Malerei seriös zu sprechen. Das liegt zuletzt daran, dass es in diesem unglückseligen Helvetien ein öffentliches, verantwortungsbewusstes Geistesleben nicht gibt. (…) ‘Moderne’ Malerei hat natürlich ihren Spielraum, aber vom öffentlichen Geistesleben eingewiesen in den Raum des erlaubten Verstiegenen, Verrückten oder Snobistischen; den direkt Beteiligten wird die Freiheit zugestanden, in amüsanter Weise niemanden direkt anzugehen“ (Brief an Agnes Holthusen vom 7. März 1951). Ballmer widmet sich im Tessin zunächst seinen wissenschaftlichen Forschungen, daneben entstehen journalistische Arbeiten. Er malt wenig. Ein letztes Mal wendet sich der Künstler in den ausgehenden vierziger Jahren der Malerei zu und malt bis 1957 sein Spätwerk, das in mancher Hinsicht eine für ihn neuartige Figurenauffassung zur Erscheinung bringt. Im Unterschied zu den linearen und durchlässigen Kompositionen der dreissiger Jahre, die den Kopf als Kräfte- und Organisationszentrum des Menschen zur Darstellung bringen, sind die späten, grossformatigen, dunkeltonigen Kompositionen gesichtslose, tektonische Ganzfigurenbilder. Wer das Gesamtwerk Ballmers überblickt, erkennt unschwer, dass im Tessin die Summe erreicht wird: Gestaltabwandlungen, die schon in den zwanziger Jahren hervortreten, die als transparente Liniengeflechte in den dreissiger Jahren geläutert neue Form annehmen, sind hier eingebettet in den sonoren Klang der Braun, Rot und tiefen Schwarz. Sie beschwören eine gequälte Körperlichkeit, an der sich der lebenslange Kampf und die Suche Ballmers nach - um in seiner Sprache zu reden - dem letzten Durchtritt der Metamorphosenreihe spiegeln“ (Heiny Widmer). Gegenüber der Luzidität der Köpfe und Landschaften der frühen dreissiger Jahren können sich diese geheimnisvollen, gewissermassen schattenhaften Figurationen nur schwer behaupten. Es ist keine vitale Körperlichkeit, die den späten Ballmer beschäftigt, sondern jene des Elfenbeins, der Mumien und Marionettentheater. Es sind Körper ohne eigenes Leben. Auf diese eigentümliche Künstlichkeit der Gliederfiguren hat jüngst Beat Wismer hingewiesen aufgrund seiner Beobachtung, wonach Ballmer für die Darstellung der Gliederfiguren Schablonen verwendet habe. Die späten Mehrfigurenbilder, in denen nur die schwarzweisse, also die Polaritäten aufhebende Gliederfigur nicht im erdigen Bildraum aufgeht, belegen Ballmers letztlich unerschütterlichen Glauben an die Welt der Ideen, wie er schon 1920 in der erwähnten Vortragsreihe fassbar wird: „Wir haben uns aus dem Weltall mit unserer Egoität herausgeschlossen und dafür die Liebefähigkeit und das mit der Erinnerungsfähigkeit zusammenhängende selbstbewusste Denken erworben. Alle Veranstaltungen aber des Kosmos, der Erde und der Menschheit meinen nicht nur die Hervorbringung des physischen Menschen, sondern in aller physischen Welt das Entstehen der Geistgeburt. Das ist ein Naturgesetz des zwanzigsten Jahrhunderts.“ R.K. |